Was ist das überhaupt, funktioniert es eigentlich und wie viel Arbeit steckt dahinter? Flipped Classroom oder auch Inverted Classroom bedeutet soviel wie umgedrehtes Klassenzimmer. Es ist ein Lern-Konzept und stößt in österreichischen Schulen eigentlich auf Gesetze, die es ad absurdum führen.

Neu oder alt – Grundidee

Das Konzept ist bereits sehr alt. Der Gedanke dahinter ist einfach: Lernende bringen sich individuell Wissen mit der Hilfe von Lernmaterialien bei. Das kann unterwegs oder auch zu Hause sein. In der Unterrichtseinheit wird dann gemeinsam geübt. 

Betrachten wir zuvor den traditionellen Mathematikunterricht. Die Lehrkraft erklärt Dinge eines neuen Themas in der Schule. Die Schülerinnen und Schüler erhalten dann eine Hausübung, um das gelernte zu Hause anzuwenden. Danach wird in der nächsten Einheit die Hausübung eingesammelt und kontrolliert. Der Haken an der ganzen Sache macht sich dann bemerkbar, wenn jemand in der Stunde etwas nicht verstanden hat. Dann ergibt sich eine nicht oder nur teilweise gelöste Hausübung und es fehlt im Unterricht an Zeit, Themen nachmals für einzelne zu Erklären. Eltern, Bekannte und Verwandte können oft nicht helfen.

Flipped Classroom setzte genau dort an. Die Phase des Erklärens findet zu Hause statt und im Unterricht wird gemeinsam geübt. Bei Problemen kann der Lehrende direkt helfen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Lernenden zu Hause die bereitgestellten Materialien durcharbeiten.

Warum steht das teilweise im Konflikt mit dem Gesetz?

Im §17 Abs. 2 des SchuG ist geregelt, dass Hausübungen „so vorzubereiten sind, daß sie … ohne Hilfe anderer durchgeführt werden können“. (Quelle: RIS, bit.ly/schug§17)

Das würde bedeuten, dass in den Hausübungen auch keine neuen Themen vorkommen. Jedoch könnte das für Flipped Classroom vorbereitete Material so beschrieben sein, dass es keine Hilfe anderer bedarf.

Warum ich das ausprobierte

In den letzten beiden Jahren habe ich das Konzept immer wieder angewandt und für mich verfeinert. Vorerst war ich mit dem Problem konfrontiert, dass ich jenen, die Themen nicht verstanden, hinterher nicht helfen konnte. Spätestens vor einer Schularbeit wollten viele nochmals Erklärungen haben – dafür fehlte die Zeit. Ich habe also teilweise meinen Unterricht mit dem iPad aufgenommen. Ich verwendete es als Kamera und filmte mein Schulübungsheft. Ich sagte der Klasse, was ich vorhabe – sie waren gespannt, aufmerksam und äußerst leise. Hier kann man sich zwei der so entstandenen Videos ansehen:

https://www.youtube.com/watch?v=jYRcaI8jtpE&list=PLh-ciEEMWTETA_54hg77achgJkSxxKXXP&index=3

https://www.youtube.com/watch?v=pBteygF884c&list=PLh-ciEEMWTEQsZZXOFWs4IXzZKmQhYj7v&index=5

Es wurde gut angenommen und ich konnte darauf verweisen, wenn sich jemand hinterher unsicher war. Daraus entwickelte sich die Idee, das fortzusetzen. Es bedeutet jedoch, dass es nach der Unterrichtseinheit viel Arbeit für mich gab. Das Material muss geschnitten und den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt werden. So begann ich die Videos im Vorfeld, begleitend zum Unterricht zu produzieren.

https://www.youtube.com/watch?v=OUJqAlwBtR0&list=PLh-ciEEMWTEQsZZXOFWs4IXzZKmQhYj7v&index=68

https://www.youtube.com/watch?v=m9RQXJO1ICo&list=PLh-ciEEMWTEQsZZXOFWs4IXzZKmQhYj7v&index=85 

Daraus ergab sich dann die Möglichkeit, dass die Lernenden zu Hause die Videos erarbeiteten: anschauen, mitschreiben, anschauen, vertiefen. In der Stunde lösten wir zum Teil gemeinsam oder in Gruppen die Aufgaben. Immer wieder tauchten gezielte Fragen auf. Ich war aber als Experte direkt vor Ort und konnte individuell helfen. Ebenso war es möglich, dass ausgewählte Schülerinnen und Schüler als Berater dienten.

Die ersten Tage funktionierte das fast perfekt. Im Laufe der Zeit stellte sich jedoch heraus, dass es ebenso eine kleine Gruppe gab, die die Videos nicht erarbeiteten. Das war ein großes Problem, da es genau jene waren, die auch zu den schlechteren 20% der Klasse zählten. Nun lernten sie ein neues Thema gar nicht und ich musste die Inhalte des Videos erst recht in der Stunde bearbeiten und konnte deshalb nicht gezielt Fragen beantworten. Davon ließ ich mich aber nicht zurückweisen und probierte weiterhin die Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Ich stellte gezieltes Lernmaterial, passend zu den Videos zur Verfügung, dass motivieren sollte. Das funktionierte wiederum, stellte aber einen noch höheren Arbeitsaufwand dar.

Ich kam also wieder zum traditionellen Unterricht zurück und setzte Flipped Classroom punktuell ein. Ein Vorteil ist inzwischen, dass ich fast den gesamten Mathematikunterricht der zweiten Klasse auf Video habe – irgendwann wird man das schon brauchen können. Dieses Jahr hilft es meiner Kollegin mit ihrer zweiten Klasse. Der Lernerfolg wurde übrigens nicht besser oder schlechter durch den Einsatz dieser Methode. Nur der Arbeitsaufwand erhöhte sich für mich drastisch.

Vor Schularbeiten, wenn sich Schülerinnen und Schüler nochmals in gewisse Themen vertiefen möchten, bietet sich nun das Video als „Lehrperson“ an. Auch Eltern können die Videos anschauen und den Unterricht leicht verfolgen. Die Videos sind mit 3-9 Minuten absichtlich kurzgehalten. Da solche Medien nicht vergänglich sind, können sie auch von anderen oder einfach später genutzt werden. 

Nachteile

Es entsteht viel zusätzliche Arbeit für die Lehrperson.  Vor allem in der Vorbereitung, bevor die Themen in der Klasse angesprochen werden muss bereits daran gearbeitet werden. Ein wenig wie eine zusätzliche Klasse fühlt es sich schon an.

Muss ich mich am Computer super auskennen?

Kurz gesagt: nein, keinesfalls. Ich habe mich bewusst für Videos entschieden, da dies für mich keine technische Herausforderung darstellt. Ebenso wäre es denkbar Flipped Classroom mit Portfolios anzuwenden. Erstklassig aufgearbeitetes Material macht es multimedial möglich so ein Konzept anzuwenden. In Sprachen bieten sich Sprachaufnahmen an, zu andere Themen gibt es schon viel Material online. Anleitungen für gewisse Themen oder auch Vokabeln können so erarbeitet werden. Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich Lernende das Thema beibringen können.

Der Lernerfolg verändert sich nicht oder nur kaum. Die viele Arbeit bringt vor allem eine Abwechslung. Ich würde mich nicht vollkommen auf eine einzige Methode verlassen – Der Unterricht lebt von der Vielfalt.

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